Anton kommt nach Hause

 

Anderthalb Jahre haben wir gemeinsam mit vielen anderen Unterstützern, Spendern und Freunden Antons Schicksal verfolgt. Gebannt haben wir gehofft, dass der kleine Anton in einer eigenen Familie leben wird und alles uns Mögliche getan, um zu diesem Ziel beizutragen und Anton zu helfen. Am 16. März konnte Anton endlich das Moskauer Krankenhaus verlassen, gemeinsam mit seiner neuen Mama ging es auf den langen Weg in sein neues Zuhause, denn nun hat Anton seine eigene, ihn liebende Familie und lebt in Texas in den USA. Wir waren dabei auf dem Weg in seine neue Heimat und während der ersten Tage mit seiner Familie.

 

Ein spannender Adoptionsprozess findet ein gutes Ende

 

Mit Spannung haben wir in den vergangenen neun Monaten den Adoptionsprozess begleitet. Seit Februar 2011 stehen wir in Kontakt mit Vanessa und Jason, Antons neuen Eltern. Im Laufe dieses mitunter nervenzehrenden Procederes haben wir Vanessa und Jason nach Kräften unterstützt. Das Paar aus Texas hat eine Tochter und einen Sohn, der am gleichen Tag geboren wurde wie Anton.

 

Durch unzählige Emails und Telefonate entstand eine Freundschaft. Da die Familie nur wenig über EB wusste, boten wir an, sie in den ersten Tagen zu begleiten und zu unterstützen. Dieses Angebot nahmen Jason und Vanessa dankbar an. So waren wir nicht unvorbereitet, als offiziell wurde, dass am 16. März 2012 Antons Reise in sein neues zu Hause beginnen sollte. Um den Adoptionsprozess jedoch nicht zu gefährden, haben wir bis zu unserer Abreise nach Russland über diese Entwicklungen nicht berichten können. Nun können wir in aller Ausführlichkeit von Antons Heimweg berichten…

 

Die Reise startet endlich

 

Schon fast gewohnheitsgemäß kamen wir mit schwerem Übergepäck am Donnerstag den 16. März im verschneiten Moskau an. Doch dieses Mal hatten wir neben vielen schönen Dingen für Anton (Kleidung, Spielzeug und vielem mehr) auch ein paar Überraschungen für seine neuen Geschwister im Gepäck. Um der Familie vor allem in den ersten Tagen helfen zu können, hatten wir außerdem eine Grundausstattung an Verbandstoffen und Pflegeprodukten für EB bei uns.

 

Ein Wiedersehen voller Freude

 

Es war ein freudiges Wiedersehen mit unserem kleinen Freund Anton. Zum ersten Mal sahen wir Anton außerhalb des Krankenhauses. Denn am Morgen dieses Donnerstages hatte Vanessa ihren Sohn endlich aus dem Krankenhaus mitnehmen können. Anton in den Armen seiner neuen Mama zu sehen, war ein besonderer und unvergesslicher Moment. Schon jetzt konnten wir die tiefe Zuneigung der Beiden zueinander sehen, Anton hatte von Anfang an Vertrauen zu seiner Mama. Gemeinsam mit Vanessa und Anton waren wir bei einer russischen Gastfamilie untergebracht, die uns herzlich versorgte und deren Kinder sich schnell mit Anton anfreundeten.

 

Antons erster Abend und seine erste Nacht in einer neuen, unbekannten Umgebung waren noch ein wenig schwierig. Die Aufregung eines langen Tages, viele neue Personen und eine neue Umgebung hatten Anton erschöpft. Am darauffolgenden Freitagmorgen fuhren wir mit Vanessa und Anton in die US-amerikanische Botschaft um Antons Pass und seitenweise Adoptionsdokumente in Empfang zu nehmen. Nun hat Anton nicht nur eine Familie, sondern ist bald auch ein richtiger Amerikaner. Den restlichen Tag verbrachten wir mit Mutter und Sohn bei wunderschönem Sonnenwetter beim Sightseeing in Moskau. Dabei schossen wir unzählige Fotos, um nicht nur die vielen Sehenswürdigkeiten aufzunehmen, sondern vor allem um diese wichtigen Momente festzuhalten.

 

Sightseeing mit der neuen Familie

 

Nach einem Abstecher zum Roten Platz und einem unvermeidlichen Aufenthalt im GUM, dem berühmten Moskauer Einkaufzentrum, war Anton zum ersten Mal in seinem Leben in einem Restaurant. Nach einem langen und aufregenden Tag verschlief Anton die Rückfahrt zur Gastfamilie. Den Abend und die viel zu kurze Nacht verbrachten wir, während Anton friedlich schlief, mit den Vorbereitungen für die lange Heimreise nach Texas am folgenden Morgen. Trotzdem so viele neue Eindrücke auf ihn hereinbrachen, nahm Anton alles voller Neugierde auf und war gut gelaunt und sehr geduldig.

 

Der Start nach Texas

 

Am Samstag (17. März) hieß es dann für uns alle sehr früh aufstehen. Der lange Flug nach Texas startete schon am Morgen. Am Flughafen wurden wir bereits von Alena Kuratova, Antons Kuratorin, erwartet. Sie wollte sich die letzte Gelegenheit, von Anton Abschied zu nehmen, nicht entgehen lassen.

 

Nach diesem rührigen Moment folgte ein 13-stündiger Flug von Moskau nach Houston/Texas mit anschließender 4-stündiger Autofahrt ins neue Zuhause in der Nähe von Dallas. Während dieser langen Stunden konnte man nicht nur sehen, was für ein lieber und geduldiger Junge Anton ist, sondern auch, wie innig das Verhältnis von Mutter und Sohn schon nach kurzer Zeit war. Aneinander gekuschelt und in Decken gehüllt schliefen beide im Flugzeug.

 

Am Flughafen in Houston erwartete uns ein freudig erregter und „frisch“ gebackener Vater, Antons neuer Daddy Jason. Nach einer, wie erwähnt, „kurzen“ Fahrt in die nächste Stadt, konnte Anton endlich auch den Rest SEINER FAMILIE kennen lernen. So traf er seine große Schwester Kenya, seinen Bruder Judah sowie Oma und Opa. Es ist schwer diesen Moment, auf den auch wir so lange warten mussten – Antons Heimkehr – in Worte zu fassen. Nur so viel sei gesagt, Glücksgefühl, Tränen, Lachen und Liebe sind Gefühlsregungen, die man einfach gleichzeitig empfinden kann.Die folgenden vier Tage, bis zu unserer leider viel zu frühen Rückreise, waren vollgepackt mit Terminen, Erlebnissen und Eindrücken. Sie vergingen wie im Flug und werden doch im Gedächtnis bleiben.

 

Wir konnten erleben wie Anton zum ersten Mal mit seiner Familie frühstückte, zum ersten Mal mit seinen Geschwistern spielte, zum ersten Mal mit der ganzen Familie bei einem Spaziergang die neue Umgebung erkundete und sich freute, als sein Daddy zum ersten Mal von der Arbeit heim kam. Dies waren unbezahlbare Momente und wir sind stolz darauf, dazu beigetragen zu haben.

 

Der erste Verbandswechsel in der neuen Familie

 

Neben diesen vielen glücklichen Momenten gab es natürlich auch Situationen, in denen EB im Vordergrund stand. So war der erste Verbandwechsel für die ganze Familie eine große Herausforderung. Hierbei haben wir sie nach Kräften unterstützt und sahen einmal mehr, wie intensiv sich die ganze Familie, sogar Antons Geschwister, sich bereits mit EB vertraut gemacht hatten. In den vergangenen Monaten hat sich die Familie in den USA bereits ein Netzwerk aus Kontakten aufgebaut, mit dessen Hilfe sie viele schwierige Situationen einfacher werden meistern können.

 

Zu jeder Zeit konnten wir spüren, wie wohl und geborgen sich Anton fühlt, er ist regelrecht aufgeblüht. Schon bei unseren Besuchen in Moskau haben wir Anton als einen fröhlichen kleinen Jungen kennengelernt, beim gemeinsamen Spiel mit Kenya und Judah oder beim Spaziergang mit Mama und Papa strahlt und lacht er jedoch erst richtig. Dass er tatsächlich nach Hause gekommen ist, bemerkt man in vielen Momenten. Schon nach wenigen Tagen hat er gelernt, sich verständlich zu machen, und versucht, englische Worte in breitem texanischen Dialekt zu formen. Mit seinem wenige Stunden älteren Bruder Judah versteht er sich auch ohne Worte. Und die große Schwester Kenya möchte Anton manchmal gar nicht mehr von ihrem Schoß herunter lassen.

 

Eine große Herausforderung ist für die Familie die Versorgung der Wunden. Hierbei gibt es noch vieles, das sie lernen müssen, aber Vanessa und Jason sowie der Rest der Familie gehen mit großem Eifer an diese oftmals schwierige Aufgabe. Vor allem Vanessa kümmert sich mit Hingabe, sehr viel Ruhe und Geduld um Antons derzeit noch recht schwierige Wundsituation.

 

In den ersten Tagen haben wir gemeinsam mit Anton und der Familie viele Ärzte und Therapeuten besucht, um ihnen Anton vorzustellen. Viele von ihnen werden zukünftig zu Antons Behandlungsteam gehören. Außerdem waren viele medizinische Untersuchungen und Tests notwendig, die in Russland zum Teil nicht möglich waren.

 

Immer noch Schwierigkeiten beim Essen

 

Besorgnis bereitete uns Antons häufiges Weinen und Husten beim Essen und wir vermuteten, dass seine Speiseröhre durch frühere Verletzungen verengt sei. Um das genau abzuklären, fuhren wir in eine nahe gelegene Kinderklinik. Nach einem Röntgen des Halsbereichs erhielten wir leider eine besorgniserregende Nachricht. Wann immer Anton etwas aß oder trank, rutschte ein Teil davon statt in die Speiseröhre in die Luftröhre und damit in die Lungen. Hierüber waren alle erschrocken, bedeutete es doch, dass Anton jederzeit hätte Erstickungsanfälle bekommen können. Anton wurde daraufhin sofort in die Klinik aufgenommen und jegliche Aufnahme von Getränken oder Essen wurde gestoppt. Die Ärzte entschlossen sich, trotzdem sie zum ersten Mal ein Schmetterlingskind vor sich hatten, zur Anlage einer Magensonde, einer so genannten PEG-Sonde, über die Anton künftig alles zu sich nehmen kann, was er braucht.

 

So kam es, dass wir mit der Familie und Anton einen Tag in einer amerikanischen Kinderklinik verbrachten. Wir waren überrascht über die kleinen und großen Unterschiede im Vergleich zu einer deutschen Klinik. So schien man bei der Gestaltung und Ausstattung größten Wert darauf gelegt zu haben, dass der Patient sich wohl fühlt. Die uns hierzulande bekannte, allzu typische Atmosphäre eines Krankenhauses, empfand man dort nicht. Verstärkt wurde dieser Effekt durch das Bestreben der Pflegekräfte, den Patienten den Aufenthalt so angenehm wie irgend möglich zu gestalten. Am auffälligsten jedoch ist dort die Verteilung der Aufgaben zwischen Ärzten und Pflegepersonal. In den USA erhalten Pflegekräfte eine weitaus intensivere und längere Ausbildung und sind damit vielfältiger qualifiziert als in Deutschland. Dadurch können sie viele Aufgaben übernehmen, die hier ein Arzt erledigen würde. Der Arzt steuert dort vielmehr die gesamten Handlungen, übernimmt selbstverständlich die Diagnostik, führt komplexere Behandlungen durch und leitet das Pflegepersonal an.

 

Aufgeschlossene Ärzte- und Pflegeteams

 

Glücklicherweise hatten wir die „EB-Verbandmittel-Grundausstattung“ in die Klinik mitgenommen, denn dort verfügte man nicht über diese Materialien. Das aufgeschlossene und engagierte Team aus Ärzten und Pflegekräften hatte, bevor sie Anton sahen, noch kein Schmetterlingskind vor sich gehabt, doch konnten wir ihnen in vielen Dingen hilfreich zur Seite stehen oder sie anleiten, so z. B. beim Legen eines intravenösen Zugangs. Auch unsere Wissensdatenbank eb-family.org erwies sich bereits vor Ihrer Fertigstellung als sehr hilfreich. Nachdem wir das DermaKIDS-Team zu Hause kontaktiert hatten, sandten sie uns nach kurzer Zeit Informationen und bildliche Anleitungen rund um das Thema Anästhesie, die von den Ärzten im Hinblick auf die OP-Vorbereitung für die PEG-Sonde dankbar angenommen wurden. Nach kurzer Recherche zu einem bestimmten Bakterium, das in einer Hautinfektion an Antons Knie gefunden worden war, konnte das Team hier Gegenmaßnahmen vorschlagen, um die Infektion effektiv einzudämmen.

 

Die Operation, die erst nach unserer Abreise durchgeführt wurde, war erfolgreich und mittlerweile sind Anton und Vanessa, die in der ganzen Zeit nicht von seiner Seite gewichen war, wieder zu Hause bei Daddy und seinen Geschwistern. In den Tagen im Krankenhaus erhielt die Familie zusätzliche Unterstützung von anderen betroffenen Eltern, die ihnen Tag und Nacht zur Seite standen.
Nach einer ebenso turbulenten wie schönen ersten Woche hat Anton nun nicht nur eine liebevolle Familie, sondern auch ein engagiertes Pflegeteam, neue Freunde in anderen betroffenen Familien und schon wieder viele Menschen, die seinem Charme nicht widerstehen können.

 

Anton ist wortwörtlich angekommen

 

Einzig der Gedanke des Abschiednehmens war ein Wermutstropfen in diesen Tagen. Doch wir wissen, dass dies nicht unser letzter Besuch bei Anton war, und wir freuen uns schon jetzt auf den nächsten. Denn Anton ist uns nicht nur sehr ans Herz gewachsen, sondern DermaKIDS-Vorsitzende Sandy Katzer hat nun als offizielle Patentante von Anton natürlich auch gewisse Verpflichtungen sowie auch einen besonderen Platz in Antons Herzen. DermaKIDS wird sich auch weiter für Anton und seine Familie engagieren, so werden wir weiter Spenden sammeln, um Antons Eltern bei der Bezahlung der Verbandsstoffe zu unterstützen. Zwar bezahlt die Krankenversicherung der Familie die meisten Produkte, trotzdem muss die Familie mehrere tausend Dollar im Jahr selbst finanzieren. Natürlich werden wir auch weiter über Anton und sein neues Leben berichten. Antons Geschichte, die so viele Menschen bewegt hat, die so viele Menschen zu Engagement und Hilfsbereitschaft motiviert hat, hat nun ein glückliches Ende gefunden. Die damit verbundenen positiven Erlebnisse motivieren auch uns, unsere Arbeit und Ziele mit Engagement weiter zu verfolgen.